Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Menschen mit Namen und Gesicht

Über Ihre Erfahrungen mit Flüchtlingen schreibt Pfarrerin Jutta Müller-Schnurr von der evangelischen St. Johannis-Gemeinde. Mehr...

Das Thema des Jahres 2015 waren „die Flüchtlinge“ und aller Voraussicht nach wird das wohl auch im Jahr 2016 weiter so bleiben. In ganz Deutschland reden die Menschen sich die Köpfe heiß und nach den Ereignissen der Silvesternacht hat die Hetzkampagne, die die Furcht vor den Fremden schürt, weil sie angeblich unsere Werte, unsere Kultur, unsere Religion bedrohen, wieder neue Fahrt aufgenommen. Doch während bei Parteitagen ebenso wie an Stammtischen „über“ Flüchtlinge gesprochen, gemutmaßt, gestritten wird, leben diese schon längst unter uns und in vielen Gemeinschaften und Familien auch mit uns. Gar nicht als „Flüchtlinge“, sondern als Menschen mit Namen und Gesicht, mit ihrer je eigenen Geschichte und Herkunft, mit Begabungen und Talenten, Stärken und Schwächen, mit ihren Problemen und Hoffnungen, ja, und auch mit ihrem Glauben und ihrer Kultur.

Auch bei uns im Pfarrhaus haben in den vergangenen Monaten drei junge Menschen, die aus Äthiopien, aus Syrien und aus dem Nordirak stammen und dort Heimat und Familie verlassen mussten, mit uns gelebt und tun es noch. Nicht als „Fremde“ und „Gäste“, sondern (wie es die Bibel formuliert) als „Mitbürger und Hausgenossen“. Auch wenn keiner von ihnen bislang diesen Status in Deutschland zuerkannt bekommen hat, zu uns, zu unserer Familie gehören sie längst. Mit uns teilen sie unseren Alltag, haben Weihnachten und den Jahresbeginn erlebt, haben geschenkt und sich beschenken lassen, haben für uns gekocht (offen gestanden: ohne sie wäre der Festschmaus in einem zu Weihnachten doch recht stressgeplagten Pfarrershaushalt nur spärlich ausgefallen), haben mit uns gesungen, gefeiert, gegessen. Und als am Ende des Tischgebetes nach dem „…lieber Gott, wir danken Dir“ ein arabisches „Alhamdulillah“ (Dank sei Gott) laut wurde, hat das der Christlichkeit unseres Festes keinen Abbruch getan – im Gegenteil. Der Frieden auf Erden, den wir mit den Engeln zur Weihnacht besungen haben, hier wurde er spürbar, im Miteinander der Menschen „nach Gottes Wohlgefallen“: Christen, Muslime, Jesiden – gemeinsam an einem Tisch. Was für ein Fest!

Nein, ich kenne keine „Flüchtlinge“, über die man so oder auch anders denken und reden und die man je nach aktueller Nachrichtenlage willkommen heißen oder verdächtigen kann. Ich lebe mit Menschen mit Namen und Gesicht, die ihre eigene Tradition und Religion kennen und leben und gerade deshalb auch nach der unseren fragen; die um den Wert eines Lebens in Freiheit und Sicherheit wissen und gerade deshalb erschrecken - vielleicht sogar noch mehr als ich - wenn ebendiese Freiheit und Sicherheit, wie bei den Übergriffen auf Frauen in Köln und andernorts, bedroht und mit Füßen getreten werden; die ihre Heimat, ihre Familien schmerzlich vermissen, sich nach Vertrautem sehnen und trotzdem unsere Sprache, unsere Lebensweise mit einem solchen Eifer lernen, ja aufsaugen, dass es mich in Staunen versetzt; die nichts anderes wollen, als hier zu leben, zu arbeiten, eine zu Zukunft haben und endlich anerkannt zu werden – nicht nur als Flüchtling, sondern als Mensch.



Jutta Müller-Schnurr, evangelische Pfarrerin an der St. Johanniskirche